Die Frage, was zuerst da war, das Ei oder das Huhn, ist wohl eine der ältesten Fragen der Menschheit. Entgegen der weitverbreiteten Meinung jedoch, dass die Frage so gut ist, dass sie unbeantwortbar bleiben muss, gibt es sogar mehrere Möglichkeiten, sie zu beantworten.
Die eigentliche Schwierigkeit bei der Beantwortung der Frage liegt im fliessenden Übergang aller Schöpfungskomponenten. Dissipativität ist nämlich - paradox aber wahr (weil bewährt) - die einzige Möglichkeit, die Pulsation als un-(un)terbrochene Aktivität zu erhalten; darum gibt es in der Welt keinerlei Grenzen und (Grenz)Übergänge: panta rhei... Nicht einmal eine Grenze für das Leben gibt es: wo die anorganische Materie aufhört und organischer Stoff als Leben seine Existenz beginnt, ist genauso unklar, wie die endgültige Sicherheit bei der Feststellung des klinischen Todes. Von infinitivem Extrem der Quanten bis zu definitivem Extrem des Durchmessers des Universums geht alles fliessend ineinander über: aus der tiefsten Dimension des Mikrokosmos, von der Ebene der Licht- und Materieteilchen, über Atom selbst, über Molekülen und Einzeller, über Kleinstlebewesen, Insekten und Kleintiere, über Mensch, Riesentiere und -bäume, an den Kleinstkometen und Trabanten vorbei, zu den Sonnen, Galaxien und -haufen, bis zum Universum als Ganzheit (das wiederum die Infinitesimale der `höheren` Ebene und Anfang der Aufzählung bedeutet) - an keinem Punkt ist es uns gegeben zu sagen: hier endet etwas, hier beginnt etwas anders. Um die Verwirrung noch grösser zu machen, gilt das natürlich nicht nur quanti-, sondern ohne weiteres auch qualitativ: so ist eine Zelle ohne weiteres sowohl der infinitesimalen, wie auch der relativen Dimension der Schöpfung zuzurechnenK.
Ebenso verhält es sich mit den Konturen vom Ei und Huhn. Sie sind als solche nicht eindeutig und endgültig lokalisierbar und determinierbar; es lasse sich einfach nicht bestimmen, wo das Ei aufhört und das Huhn beginnt, das heisst, man kann nicht eindeutig sagen, was Ei ist und was Huhn: von der Idee her sind Ei und Huhn dasselbe.
Das ist auch das Prinzip jener berühmten Frage der fraktalen Geometrie und der Chaos-Theorie: wie lang ist die Küste Englands? Bei kleinerem Massstab wird sie jedenfalls nicht nur länger, sondern auch verschwommener, da sie sich eben im kleinsten Dimensionen ständig verändert, und am Ende wird es unmöglich, sie zu bestimmen, da sie sich in der Transzendenz verliert.
Eine ähnliche Unmöglichkeit der Bestimmung ist in der Musik zu finden, wo es sich nicht feststellen lasse, ob, zum Beispiel, ein Ton `Cis` oder `De` ist.
Oder in der Farblehre, wo, zum Beispiel, Orange genauso als eine Abart vom Rot, wie auch vom Gelb gelten kann.
Nach der Schlussfolgerung der fraktalen Geometrie gibt es weder Ordnung noch Chaos: wenn alles nur eine Frage des Massstabs ist, dann hängt es von keiner – unexistenter! - Wirklichkeit, sondern nur vom Blickwinkel ab, ob etwas als Konsonanz oder Dissonanz aufgefasst wird. Darum ist eine logische Antwort in bezug auf die Priorität, die Ei und Huhn in bezug aufeinander eingehen, überhaupt nicht möglich, ohne sich auf eine bestimmte - heisst unweigerlich falsche - Betrachtungsweise festzulegen. Das Problem ist freilich die Ambivalenz der Welt, die hier keine eindeutige Antwort zulässt, darum muss man eine doppelwertige Antwort kreieren, mit der sich die Frage logisch einwandfrei beantworten lasse.
Man müsste das Problem von beiden Seiten sehen. Dann würde man aus der Transzendenz die eindeutige Priorität des Eies bestimmen können – Ei, beziehungsweise der Same darin (die Idee, freilich), ist ja der Anfang aller Dinge. In dieser Ansicht ist das Huhn nur eine Fortsetzung des Eis und eine Brücke zu einem neuen Ei.
Diesseitiger Ansicht der Dinge liegt die Bewegung zugrunde. Und da stellt das Ei, wie der Same überhaupt, so etwas wie eine `eingefrorene Bewegung` dar, eine Konserve der Bewegung, womit es im Sinn der Frage unwichtig wird, wodurch hier eindeutig das Huhn das Oberwasser gewinnt und als richtige Antwort gelten darf. Hier wäre das Ei auf das Format eines Nichts zurückgeführt und das Huhn würde Etwas darstellen.
Die richtige Antwort auf die unmögliche Frage lautet dann wie folgt: in dem Augenblick, als es `soweit` ist, erscheint ein imaginäres Huhn, das ein Ei legt, aus dem es sich gleichzeitig (oder `gleichzeitig`) auspellt, um real zu werden und das gleiche Ei zu legen, um sich daraus auszupellen... Eine gleitende Pulsation ohne einen zeitlichen (materiellen, formbestimmbaren) Übergang. Der ganze Komplex dieser Frage und ihrer Beantwortung ist an sich ein vortrefflicher Beweis dafür, dass die (Schöpfungs)Pulsation des Nichts in Etwas nicht chronologisch (= zeitlich) nacheinander, sondern historisch (= auf Dauer) gleichzeitig erfolgt.
Die interessanteste Beantwortung der Frage liefert uns die Mythologie, und hier ganz präzise die ägyptischen Sargtexte. Diese Antwort ist natürlich rein symbolisch, weil die Antwort auf eine paradoxe Frage nur im Form eines Symbols befriedigend gelöst werden kann. Die Frage ist wahrhaft mit einem kühnen Symbol einwandfrei beantwortet: der sagenhafte Vogel Phönix braucht kein Ei, aus dem er schlüpfen würde - er verschwindet im Feuer, aus dem er wieder, neugeboren, erscheint.
Gerade wie das Universum also, das an seinem Ende in einem Kollaps des rasenden Lichtes und in einem Höllenfeuer zum Nichts `verbrennt` - um in der Transzendenz ein Ei zu legen, das im Akt des Brütens zu einem neuen Vogel Phönix `explodiert`.
Und auch der Ursprung des Phönix ist uns aus jener Überlieferungen bekannt. Da ist von einem Urei die Rede, aus dem freilich kein Vogel Phönix, sondern sein Vorgänger, ein `Vogel des Lichts`, (= Feuer; `das imaginäre Huhn`) entsteht als Übergang zwischen dem Urei und dem richtigen Vogel (der dann nach belieben die realen Eier legen vermag)